17.01.2025

Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten bei Überstundenzuschlägen

Wenn eine tarifvertragliche Regelung für Überstundenzuschläge das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten voraussetzt, werden damit teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmende schlechter als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte behandelt. Denn die Regelung verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter (§ 4 Abs. 1 TzBfG). Eine Ausnahme besteht, wenn die Ungleichbehandlung nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Fehlen solche sachlichen Gründe, liegt zugleich ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (§ 7 Abs. 1 AGG) vor. Grund dafür ist die mittelbare Benachteiligung wegen des (weiblichen) Geschlechts, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten erheblich mehr Frauen als Männer vertreten sind.

Richterhammer liegt auf Gesetzbuch

Ausbleiben von Überstundenzuschlägen

Bei dem beklagten Unternehmen handelt es sich um einen ambulanten Dialyseanbieter mit mehr als 5.000 Arbeitnehmenden. Gegen ihn hat eine bei ihm als Pflegekraft in Teilzeit (im Umfang von 40 %) Beschäftigte geklagt. Auf das Arbeitsverhältnis findet entsprechend dem Arbeitsvertrag der zwischen dem beklagten Unternehmen und der Gewerkschaft ver.di geschlossene Manteltarifvertrag (MTV) Anwendung. Nach § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV sind mit einem Zuschlag von 30 v.H. zuschlagspflichtig Überstunden, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeit ausgeglichen werden können. Alternativ zu einer Auszahlung des Zuschlags ist eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto möglich.
Das Arbeitszeitkonto der Klägerin wies Ende März 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 129 Stunden und 24 Minuten aus. Der Beklagte hat der Klägerin für diese Zeiten in Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV jedoch weder Überstundenzuschläge gezahlt noch im Arbeitszeitkonto eine Zeitgutschrift vorgenommen.

Klage auf Überstundenzuschläge

Die Beschäftigte hat mit ihrer Klage verlangt, ihrem Arbeitszeitkonto als Überstundenzuschläge weitere 38 Stunden und 39 Minuten gutzuschreiben sowie die Zahlung einer Entschädigung in Höhe eines Vierteljahresverdiensts gefordert. Die Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV benachteilige sie wegen ihrer Teilzeit unzulässig gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten. Zugleich werde sie wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt, denn der Beklagte beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin die Zeitgutschrift zuerkannt, hinsichtlich der begehrten Entschädigung jedoch die Klageabweisung bestätigt.

Klägerin geht in Revision

Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) teilweise Erfolg. Der Senat hat der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift – in Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht – zugesprochen und ihr darüber hinaus eine Entschädigung in Höhe von 250,00 Euro zuerkannt. Aufgrund der Vorgaben des EuGH hatte das BAG davon auszugehen, dass § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten unwirksam ist. Denn der MTV sieht bei Teilzeitbeschäftigung keine der Teilzeitquote entsprechende anteilige Absenkung der Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags vor. Einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung konnte der Senat nicht erkennen.

Benachteiligung wegen des Geschlechts

Die sich aus dem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG ergebende Unwirksamkeit der tarifvertraglichen Überstundenzuschlagsregelung führt zu einem Anspruch der Klägerin auf die eingeklagte Zeitgutschrift. Daneben war ihr eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zuzuerkennen. Durch die Anwendung der tarifvertraglichen Regelung hat die Klägerin auch eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts erfahren.
In der Gruppe der beim Beklagten in Teilzeit Beschäftigten, die dem persönlichen Anwendungsbereich des MTV unterfallen, sind zu mehr als 90 % Frauen vertreten. Als Entschädigung war ein Betrag in Höhe von 250,00 Euro festzusetzen. Dieser soll einerseits den der Klägerin durch die mittelbare Geschlechtsbenachteiligung entstandenen immateriellen Schaden ausgleichen und andererseits gegenüber dem beklagten Unternehmen abschreckende Wirkung entfalten (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 5. Dezember 2024 – 8 AZR 370/20 – Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Dezember 2019 – 5 Sa 436/19).

Autor*in: Andrea Brill (Andrea Brill ist Pressereferentin und Fachjournalistin.)