Betriebsänderung: Nicht ohne Betriebsrat!
Will der Arbeitgeber eine Betriebsänderung durchführen, ist der Betriebsrat besonders gefordert. Seine wichtigste Aufgabe besteht darin, negative Folgen der Umstrukturierung für die Beschäftigten möglichst gering zu halten. Verhindern kann er die Betriebsänderung nicht.
Streit um eine Betriebsänderung vor Gericht
Mitbestimmung. Die Geschäftsführung eines IT-Unternehmens plante, zwei Betriebe zusammenzulegen. Zu diesem Zweck sollten 20 der insgesamt 323 Beschäftigten an dem durch die Zusammenlegung neu geschaffenen Standort arbeiten. Der Betriebsrat war mit der Zusammenlegung jedoch nicht einverstanden und zog vor Gericht. Er beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit dem Ziel, dem Arbeitgeber zu untersagen, die 20 Beschäftigten am neuen Standort einzusetzen.
Das Gericht lehnte den Antrag des Betriebsrats ab. Bei einer Betriebsänderung habe der Betriebsrat zwar einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Verhandlungen über einen Interessenausgleich. Zur Sicherung dieses Verhandlungsanspruchs könne er den Arbeitgeber auch gerichtlich verpflichten, die angestrebte Betriebsänderung zu unterlassen, bis es zu Verhandlungen über einen Interessenausgleich gekommen sei. Dieser Unterlassungsanspruch des Betriebsrats diene jedoch ausschließlich der Sicherung seines Verhandlungsanspruchs und nicht dazu, die Betriebsänderung als solche zu untersagen. Durch umkehrbare Maßnahmen sei der Verhandlungsanspruch nicht gefährdet. Deshalb könnten diese auch nicht durch einstweilige Verfügung untersagt werden. Die vom Arbeitgeber beabsichtigte Umsetzung von 20 Beschäftigten an einen neuen Standort sei umkehrbar in diesem Sinne. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.06.2014, Az.: 7 TaBVGa 1219/14
Betriebsrat kann Betriebsänderung nicht abwenden
Auf den Punkt gebracht bedeutet die Entscheidung Folgendes: Zwar kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber im Zuge einer geplanten Betriebsänderung unumkehrbare Maßnahmen per Gerichtsentscheid verbieten lassen und dadurch verhindern, dass dieser vollendete Tatsachen schafft, bevor die Verhandlungen über einen Interessenausgleich überhaupt begonnen haben bzw. beendet sind. Die Betriebsänderung abwenden kann der Betriebsrat jedoch nicht.
Betriebsrat hat Anspruch auf Verhandlungen über Interessenausgleich
Plant der Arbeitgeber eine Betriebsänderung (vgl. Checkliste), muss er mit dem Betriebsrat mit dem ernsten Willen zur Einigung über einen Interessenausgleich verhandeln, der die Inhalte der Betriebsänderung festlegt, § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Erfahrungsgemäß ignorieren Arbeitgeber nicht selten ihre Verhandlungspflicht, indem sie mit der Umsetzung der geplanten Betriebsänderung beginnen und das Gremium vor vollendete Tatsachen stellen. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass sie Anlagen, Maschinen oder Produktionslinien abbauen, betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, Aufhebungsverträge anbieten oder Umsetzungen vornehmen. In diesen Fällen hat der Betriebsrat nach der Rechtsprechung einen Unterlassungsanspruch, den er mittels einstweiliger Verfügung durchsetzen kann.
Hinweis: Der Unternehmer entscheidet ob
Der Eingangsfall führt klar vor Augen, dass der Betriebsrat in Sachen Betriebsänderung zwar mitwirken darf. Letzten Endes liegt die Entscheidung aber allein beim Arbeitgeber. Er ist derjenige, der auf der Grundlage seiner grundgesetzlich geschützten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit entscheidet, ob überhaupt und wenn ja, wie er die Betriebsänderung durchführt.
Nachteilige Betriebsänderung nur mit Beteiligung des Betriebsrats
Eine gesetzliche Definition des Begriffs „Betriebsänderung“ existiert nicht. Die Rechtsprechung definiert die Betriebsänderung als eine vom Arbeitgeber initiierte grundlegende Änderung von betrieblichen Wesensmerkmalen in Form einer Neuausrichtung oder Einschränkung betrieblicher Abläufe bis hin zur Stilllegung des Betriebes bzw. wesentlicher Betriebsteile. Darunter fällt jede Änderung
- der betrieblichen Organisation,
- des Tätigkeitsbereichs,
- der Arbeitsweise,
- der Struktur,
- des Standorts oder
- der Fertigung.
Der Gesetzgeber benennt in § 111 BetrVG einen Katalog unterschiedlicher Maßnahmen, die jeweils für sich genommen bereits als Betriebsänderung gelten, häufig aber erst als Kombination oder Mischform dieser Katalogtatbestände auftreten. Hat eine Maßnahme wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge, kommen (in Unternehmen mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern) die §§ 111 bis 113 BetrVG zur Anwendung. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet,
- den Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplante Betriebsänderung zu unterrichten,
- die geplante Betriebsänderung mit dem Betriebsrat zu beraten,
- mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich zu verhandeln und
- mit dem Betriebsrat einen Sozialplan zu vereinbaren.
Hinweis: Gesetz nicht abschließend
Die Aufzählung im Gesetz ist nicht abschließend, d. h., es kommen neben den dort genannten Maßnahmen auch andere Tatbestände in Betracht, die als Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 1 BetrVG gelten.
Was sind „wesentliche Nachteile“?
Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der geplanten Betriebsänderung durch den Arbeitgeber muss noch nicht feststehen, ob tatsächlich Nachteile auftreten, worin die Nachteile bestehen oder wer davon betroffen ist. Es genügt vielmehr, dass der Eintritt von wesentlichen Nachteilen nicht ausgeschlossen erscheint. Als wesentliche Nachteile in diesem Sinne gelten z. B.
- längere Anfahrtszeiten
- doppelte Haushaltsführung wegen längerer Anfahrtszeiten
- Minderung des Verdienstes
- veränderte Qualifikationsanforderungen
- Arbeitserschwernis
- höhere Fahrtkosten
- betriebsbedingte Kündigungen
- Leistungsverdichtung
- ungünstigere Arbeitszeiten
- psychische und physische Belastungen durch verschlechterte Arbeitsbedingungen
Hinweis: Nachteile müssen nicht geprüft werden
Beachten Sie, dass in den Fällen des § 111 Satz 3 BetrVG die Nachteile der Umstrukturierungsmaßnahmen auf die Belegschaft unterstellt werden und deshalb nicht geprüft werden müssen.
Wann sind „erhebliche Teile der Belegschaft“ betroffen?
Es ist zu beachten, dass die gesamte Belegschaft oder wenigstens ein erheblicher Teil der Belegschaft von dem Nachteil betroffen sein muss. Die Frage, ob erhebliche Teile der Belegschaft von einer Betriebsänderung betroffen sind, beantwortet das Bundesarbeitsgericht unter Heranziehung des § 17 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Danach muss eine bestimmte Anzahl von Beschäftigten – abhängig von der Betriebsgröße – von der Betriebsänderung betroffen sein (vgl. Übersicht).
Übersicht: Erhebliche Teile der Belegschaft
Anzahl der Arbeitnehmer im Betrieb | Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer |
21 bis 59 Beschäftigte | mehr als 5 Beschäftigte |
60 bis 499 Beschäftigte | 10 % oder mehr als 25 Beschäftigte |
500 bis 599 Beschäftigte | Mindestens 30 Beschäftigte |
ab 600 Beschäftigten | mindestens 5 % der Beschäftigten |
Die Rolle des Betriebsrats im Umstrukturierungsprozess
Informiert der Arbeitgeber den Betriebsrat über eine geplante Umstrukturierung, die die Anforderungen einer Betriebsänderung erfüllt, hat das Gremium die Aufgabe, zunächst die Auswirkungen der strukturellen Veränderung für die Belegschaft abzuschätzen und dann dafür zu sorgen, dass sich die daraus ergebenden Nachteile für die betroffenen Beschäftigten in Grenzen halten. Um dieses Ziel zu erreichen, benötigen die Betriebsratsmitglieder vertiefte Kenntnisse der Vorschriften zur Betriebsänderung (§ 111 BetrVG), zum Interessenausgleich (§ 112 BetrVG), zum Sozialplan (§§ 112, 112a BetrVG) und zum Nachteilsausgleich (§ 113 BetrVG). Bedeutung und Reichweite der Vorschriften erschließen sich vielen Betriebsratsmitgliedern erfahrungsgemäß erst im Laufe des Verhandlungsprozesses – und damit in aller Regel zu spät, weil Vereinbarungen dann bereits unterzeichnet und die Beteiligungsrechte ausgeschöpft sind.
Praxistipp: Sozialplan vermeidet soziale Härten
Lässt sich der Arbeitgeber in den Beratungen mit dem Betriebsrat nicht von seinem Umstrukturierungsplan abbringen, muss es das Ziel des Gremiums sein, soziale Härten für die Beschäftigte durch einen sachgerecht und erfolgreich verhandelten Sozialplan weitestgehend abzufedern. Dies erweist sich in der betrieblichen Praxis aufgrund des Umfangs und der Komplexität der Materie erfahrungsgemäß als große Herausforderung. Vor diesem Hintergrund sollte jedes Betriebsratsgremium in Erwägung ziehen, eines oder mehrere seiner Mitglieder an einer Schulung zum Thema Betriebsänderung, Interessenausgleich und Sozialplan teilnehmen zu lassen.
Die Betriebsänderung im Überblick: Informieren, beraten, verhandeln
Bevor der Arbeitgeber zur Tat schreitet und Maßnahmen zur Umsetzung der Betriebsänderung ergreift, muss er das Betriebsratsgremium über sein Vorhaben informieren und mit ihm darüber beraten. Sollte der Arbeitgeber nach den Beratungen an seinem Plan festhalten, ist es das Ziel des Betriebsrats, einen für die Beschäftigten akzeptablen Interessenausgleich auszuhandeln. Merken Sie sich: Der beste Interessenausgleich ist derjenige, der die Betriebsänderung überflüssig macht und somit Nachteile für die Belegschaft erst gar nicht entstehen lässt. Der Arbeitgeber ist dazu angehalten, alle zur Verfügung stehenden Verständigungsmöglichkeiten für eine Einigung mit dem Betriebsrat auszuschöpfen (inklusive Einigungsstellenverfahren). Denn es soll eine Lösung gefunden werden, die mit möglichst keinen bzw. zumindest wenigen Nachteilen für die Belegschaft verbunden sind. Ist die Betriebsänderung für die Beschäftigten finanziell von Nachteil (z. B. Einkommenseinbußen, Kündigung, Versetzung), müssen die Betriebsparteien diese Nachteile durch einen Sozialplan mildern.
Hinweis: Sozialplan lindert die wirtschaftlichen Folgen
Im Unterschied zum Interessenausgleich betrifft der Sozialplan nicht die Modalitäten der Betriebsänderung, sondern es geht ausschließlich darum, die nachteiligen wirtschaftlichen Folgen der Betriebsänderung für die betroffenen Beschäftigten zu verhindern bzw. zu verringern.
Sozialplan kann vom Betriebsrat erzwungen werden – Interessenausgleich nicht
Weigert sich der Arbeitgeber, mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich zu verhandeln oder weicht er grundlos von einem ausgehandelten Interessenausgleich ab, muss er denjenigen Beschäftigten, die wegen des Nichtverhandelns Nachteile erleiden, einen Nachteilsausgleich gemäß § 113 BetrVG leisten. Dabei handelt es sich in erster Linie um Abfindungszahlungen. Für den Arbeitgeber macht es im Grunde überhaupt keinen Sinn, sich querzustellen und keine Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich zu führen, denn er allein entscheidet darüber, ob er sich auf einen Interessenausgleich einlässt oder nicht. Der Betriebsrat hat hierauf keinen Einfluss. Er kann den Arbeitgeber nicht dazu zwingen, einen Interessenausgleich mit ihm zu vereinbaren. Anders verhält es sich beim Sozialplan. Diesen kann der Betriebsrat mithilfe der Einigungsstelle auch gegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzen.