12.04.2023

BAG stellt klar: Arbeitszeiterfassung ist Arbeitsschutz!

Am 13.09.2022 hat das BAG die wohl weitreichendste Entscheidung des Jahres 2022 verkündet („Stechuhr-Beschluss“).  Aus den jüngst veröffentlichten Entscheidungsgründen geht hervor, dass die Pflicht zur Zeiterfassung nach dem  Arbeitsschutzgesetz unmittelbar gilt. Der Gesetzgeber kann die Pflicht konkretisieren, muss es aber nicht.

Arbeitende Menschen mit verschiedenen Uhren

Worum geht es?

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 03.12.2022 seine mit Spannung erwarteten Entscheidungsgründe zum  sogenannten Stechuhr-Beschluss veröffentlicht. In den Entscheidungsgründen gibt der zuständige erste Senat des BAG auf 23 Seiten einige Antworten auf vielgestellte Fragen, bleibt allerdings bei detaillierten Ausführungen zum  Arbeitszeiterfassungssystem zurückhaltend.

Das sagt das Gericht

Nach Meinung des BAG folge die Pflicht der Arbeitgeber, ein System zur Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten der  Beschäftigten einzuführen, aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz). Danach habe der Arbeitgeber zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach § 3 Abs. 1 ArbSchG unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der
Zahl der Beschäftigten für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen.
Bei unionsrechtskonformem Verständnis beinhalte die gesetzliche Regelung auch die – grundsätzliche – Verpflichtung des Arbeitgebers, ein System zur Erfassung der von ihren Beschäftigten geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen,
welches Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden umfasse. Solange seitens des Gesetzgebers keine den § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG konkretisierenden Regelungen getroffen worden seien, bestehe ein Spielraum des Arbeitgebers bei der Umsetzung eines Arbeitszeiterfassungssystems (gegebenenfalls gemeinsam
mit dem Betriebsrat), in dessen Rahmen u. a. die Form dieses Systems festzulegen sei. BAG, Beschluss vom 13.09.2022, Az.: 1 ABR 22/21

Hinweis: Keine Sanktionen

In Unternehmen, in denen die Arbeitszeiten der Beschäftigten noch nicht erfasst werden, drohen den Arbeitgebern  aktuell keine unmittelbaren Sanktionen, weil der Verstoß gegen § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG (noch) nicht bußgeldbewehrt
ist. Nur wenn eine Behörde nach entsprechenden Ermittlungen eine behördliche Anordnung mit einer entsprechenden Aufforderung an den Arbeitgeber erlässt, wäre bei weiteren Verstößen ein Bußgeld denkbar. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber künftig entsprechende Sanktionierungsmöglichkeiten schafft.

Das bedeutet für Sie als Betriebsrat

Bei der Auswahl des im Betrieb verwendeten Systems zur Arbeitszeiterfassung (Frage des „Wie“ der Arbeitszeiterfassung) hat der Betriebsrat – nach der aktuellen Rechtslage – ein Initiativmitbestimmungsrecht
gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG in Verbindung mit § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Bei der Frage des „Ob“ der Arbeitszeiterfassung hat der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Einleitungssatz („soweit eine gesetzliche … Regelung nicht besteht, …“) kein Initiativmitbestimmungsrecht, weil nach Ansicht des BAG eine gesetzliche Handlungspflicht des Arbeitgebers nach § 3  Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG besteht.

Checkliste
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Übersicht: Voraussetzungen für die Erfüllung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

  • Es genügt vonseiten des Arbeitgebers nicht, ein Zeiterfassungssystem lediglich zur Verfügung zu stellen, es muss  vielmehr auch tatsächlich in Gebrauch genommen werden.
  • Das Zeiterfassungssystem darf sich nicht darauf beschränken, nur den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit zu „erheben“. Die entsprechenden Daten müssen auch erfasst und dokumentiert (aufgezeichnet) werden, um die  Überprüfbarkeit der Lage der täglichen Arbeitszeit sicherzustellen.
  • Im Entscheidungsprozess zur Auswahl eines geeigneten Systems zur Zeiterfassung gilt es, die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Beschäftigten sowie die Eigenheiten des Unternehmens (insbesondere die Größe des Unternehmens, Anzahl der Beschäftigten, Arbeitszeitmodelle) zu berücksichtigen.
  • Die Erfassung der Arbeitszeiten muss nicht zwingend in elektronischer Form erfolgen. Abhängig von den konkreten Umständen im Unternehmen können auch Aufzeichnungen in Papierform genügen.
  • Arbeitgeber können die Dokumentation der Arbeitszeit an die Beschäftigten delegieren.
  • Bei der Auswahl und näheren Ausgestaltung ist zu beachten, dass die Verbesserung von Sicherheit und  Gesundheitsschutz der Beschäftigten Zielsetzungen darstellen, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.
Autor*in: Daniel Roth (ist Chefredakteur des Beratungsbriefs Urteils-Ticker Betriebsrat.)