07.12.2017

Arbeit auf Abruf: Wehren Sie als Betriebsrat der grenzenlosen Unsicherheit!

Für Arbeitgeber sind es paradiesische Zustände: Sie bestellen Beschäftigte ganz so zur Arbeit ein, wie sie sie brauchen – und das Beste daran: Diese moderne Form der Tagelöhnerei ist ganz legal, offiziell abgesegnet nach § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Für die betroffenen Kollegen aber zeigt sich die viel beschworene Flexibilität als grenzenlose Unsicherheit – mit gravierenden Folgen.

Betriebsvereinbarung KAPOVAZ

Arbeitsrecht. Besonders beliebt sind solche Arbeit-auf-Abruf- Verträge im Einzelhandel oder in anderen Dienstleistungsbranchen wie etwa auf Flughäfen beim Catering oder der Flugabfertigung. Und sie erfreuen sich seitens der Arbeitgeber ununterbrochener Beliebtheit: Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2015 muss jeder zehnte unbefristet Beschäftigte auf Abruf arbeiten.

Ein unplanbares Leben

Dieser Fall ist exemplarisch für Millionen andere: Eine Verkäuferin im Textileinzelhandel, Mitte 20, hat einen Arbeitsvertrag, der nur zehn Stunden die Woche garantiert. Die tatsächliche Arbeitszeit beläuft sich im Monat auf ca. 40 bis 150 Stunden – je nach Gusto des Chefs. So schwankt auch ihr Gehalt extrem: Zwischen 500 Euro netto und 1.500 Euro netto ist alles möglich. Nur weiß sie vorher nie, wie viel es diesen Monat wird. Das führt zu einer erheblichen Belastung im Alltag: Wann sie wie viel in der nächsten Woche arbeiten wird, wird ihr oft erst am Wochenende davor mitgeteilt. Das Planen der Freizeit ist höchst problematisch. Es sind schon alltägliche Dinge wie Arzttermine oder Verabredungen mit Freunden eine Herausforderung. Sogar das Mieten einer Wohnung wird – zumindest in einer größeren Stadt – damit fast unmöglich, wenn man alleine wohnt. Den Vermietern reichen solche Gehaltsbescheinigungen oft nicht aus. Auch Urlaube oder nötige Anschaffungen sind stets ein Unsicherheitsfaktor. An die Gründung einer Familie oder den Kauf einer Immobilie wagen viele der Betroffenen gar nicht zu denken. Viele verschieben die Pläne für Hochzeit, Kinder und Wohnungskauf auf unbestimmte Zeit – bis eben die unbefristete Vollzeitstelle in Sicht ist. Und ob die jemals kommt, ist fraglich. Schließlich gibt es jahrzehntelange Erwerbsverläufe mit einer Befristung nach der anderen. Besonders perfide: Die meisten Beschäftigten können im Rahmen der Arbeit auf Abruf nicht einmal einen Zweitjob annehmen, um mehr zu verdienen. Denn obwohl sie „nur“ einen Teilzeitvertrag haben, sind sie sozusagen Vollzeit in Bereitschaft.

Hinweis

Die vom Arbeitgeber einseitig abrufbare Arbeitsleistung darf nicht mehr als 25 Prozent der wöchentlichen Mindestarbeitszeit betragen (BAG vom 07.12.2005, Az.: 5 AZR 535/04). Diese Vorgabe wird in vielen Betrieben nicht eingehalten. Sie sollten deshalb als Betriebsrat ein Auge darauf haben.

Gesetzlichen Rahmen ist festgelegt

So unbefriedigend die Situation für die betroffenen Kollegen ist, nach geltendem Arbeitszeitrecht ist die Arbeit auf Abruf ein zulässiges Modell im Rahmen von Teilzeitverträgen. Das heißt, zunächst einmal gilt es, die Grundzüge zu kennen. Nur dann lässt sich überprüfen, ob in Ihrem Betrieb alles rechtlich korrekt abläuft. Das ist wenigstens ein erster Schritt, um Kollegen zu unterstützen. Bekannt ist die Arbeit auf Abruf manchmal auch unter dem sperrigen Begriff kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (KAPOVAZ). Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 12 TzBfG. Danach hat der Arbeitnehmer bei der Arbeit auf Abruf seine Arbeitsleistung entsprechend dem Bedarf zur Verfügung zu stellen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren in der Regel eine feste allgemeine tägliche oder wöchentliche Arbeitszeit, wie etwa die zehn Wochenstunden im Beispielfall. Die Dauer der Arbeitszeit ist damit grundsätzlich festgelegt – allerdings nicht die Zahl eventueller Überstunden. Die Lage der Arbeitszeit wird hingegen durch den Abruf des Arbeitgebers bestimmt. Das heißt, er entscheidet allein darüber, wann genau er die Beschäftigten einbestellt.

Expertentipp

Im Rahmen Ihres erzwingbaren Mitbestimmungsrechts können Sie bei der Gestaltung der Arbeit auf Abruf (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) versuchen, die Kollegen zu schützen. Nehmen Sie z. B. in eine Betriebsvereinbarung eine Prämienstaffelung auf: Je kürzer die Ankündigungsfrist für den Arbeitgeber, desto höher die Prämie für den Mitarbeiter, der sich darauf einlässt.

Hält sich der Arbeitgeber an die Ankündigungsfrist?

Die Arbeit auf Abruf muss zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag vereinbart werden. Dort sind Umfang (Stundenanzahl) und Inhalt der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Tätigkeiten festzulegen. Nach § 12 Abs. 2 TzBfG hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Lage seiner Arbeitszeit mindestens vier Tage im Voraus anzukündigen. Nur dann ist der Beschäftigte zur Arbeitsleistung verpflichtet. Ansonsten braucht er nicht zu arbeiten, erhält allerdings auch kein Geld. Die Frist kann nur durch eine entsprechende Regelung eines Tarifvertrags verkürzt werden. Zudem bietet sie nur unzureichenden Schutz: Nur selten sind Beschäftige so mutig, eine zu kurzfristige Ankündigung zu rügen. Hier sind Sie als Betriebsrat gefordert: Achten Sie darauf, dass wenigstens die gesetzlich vorgesehene Frist eingehalten wird.

Autor*in: Silke Rohde (ist Rechtsanwältin & Journalistin sowie Chefredakteurin des Fachmagazins Betriebsrat KOMPAKT.)