18.07.2022

Was sind Nanopartikel?

Die Frage, die dieser Beitrag beantwortet: Was sind Nanopartikel und wie sind sie aus Arbeitsschutzsicht zu beurteilen? Dabei zeigt sich, dass eine Zusammenfassung von Partikeleigenschaften allein aufgrund ihrer Größe – wie bei der Verallgemeinerung von Nanopartikeln der Fall – auf Probleme stößt. Nanopartikel sollten deshalb in verschiedene Gruppen eingeteilt werden, die auch aus Arbeitsschutzsicht relevant sind. Am besten erforscht – und wohl am schädlichsten für die Gesundheit des Menschen – sind Nanopartikel, die über die Lunge ins Körperinnere gelangen.

Nanopartikel

Was sind Nanopartikel? Zunächst einmal ist es sinnvoll, zwischen Nanomaterialien und Nanopartikeln zu unterscheiden. Als Nanomaterialien bezeichnet man solche, bei denen ihre kleinsten Bestandteile zu 50 Prozent zwischen 1 nm und 100 nm klein sind. Solche Bestandteile können auch Nanopartikel sein, also nach außen begrenzte kleine Objekte, die mit ihrer Umgebung als „Individuum“ wechselwirken. Nanopartikel sind folglich einzelne Teilchen, die z.B. von Nanomaterialien freigesetzt werden können.

Definition Nanopartikel in den Anhängen von REACH

Die Anhänge von REACH, innerhalb derer die Nanoform definiert wird, beinhalten auch eine Definition der Bestandspartikel einer Nanoform, als Nanopartikel bezeichnet. Danach sind Nanopartikel alle Teilchen, die ein oder mehrere geometrische Maße (Durchmesser, Breite, Höhe, Länge) im Bereich von 1 nm bis 100 nm haben. Partikel wird dabei oftmals als rundes Teilchen verstanden, was falsch ist. Auch Fasern, Plättchen, Zylinder usw. sind Partikel. Zum Zweiten können auch größere Klumpen von Partikeln als „Nano“ angesehen werden, wenn sie aus Nanopartikeln zusammengesetzt sind.

Aktuelles: Neue Empfehlung zur Definition von Nanomaterialien

Die Europäische Kommission hat am 10. Juni 2022 eine überarbeitete Definition von Nanomaterialien vorgelegt. Demnach ist ein Nanomaterial ein natürliches, bei Prozessen anfallendes oder hergestelltes Material, das aus festen Partikeln besteht, die entweder eigenständig oder als erkennbare konstituierende Partikel in Aggregaten oder Agglomeraten auftreten, und bei dem mindestens 50 Prozent dieser Partikel in der Anzahlgrößenverteilung mindestens eine der in der Empfehlung genannten Bedingungen erfüllen, d.h.:

  • ein oder mehrere Außenmaße der Partikel liegen im Größenbereich von 1 nm bis 100 nm,
  • die Partikel haben eine längliche Form wie z.B. Stab, Faser oder Röhre, wobei zwei Außenmaße kleiner als 1 nm sind und das andere Außenmaß größer als 100 nm ist,
  • die Partikel haben eine plättchenartige Form, wobei ein Außenmaß kleiner als 1 nm ist und die anderen Außenmaße größer als 100 nm sind.

Grundsätzlich – und ohne auf Definitionsprobleme einzugehen – können folgende Klassen von Nanopartikeln unterschieden werden:

Natürliche Nanopartikel

Natürliche Nanopartikel entstehen aufgrund natürlicher Prozesse und gehören als „Naturprodukte“ zu unserer Umwelt. Dies sind z.B. Salzkristalle aus dem Meer, Partikel aus Wald- und Buschbränden oder aus Vulkaneruptionen. Auch einige Viren sind kleiner als 100 nm.

Ultrafeine Partikel

Ultrafeine Partikel entstehen bei Arbeitsprozessen, ihre Herstellung erfolgt nicht gezielt und sie sind ein ungewolltes Nebenprodukt der Arbeitsprozesse. Schweiß- und Lötarbeiten gehen in der Regel mit einer sehr hohen Nanopartikelbelastung für die Arbeitnehmer einher, ebenso Trenn- und Schleifarbeiten und viele – insbesondere thermische – Verfahren. Ihre Rolle und die hohe, teilweise sehr hohe Exposition bei solchen Tätigkeiten sind bekannt (z.B.: Möhlmann, 2007); eine Schutzmaßnahme ist z.B. das Absaugen von Schweißrauchen.

Als ultrafeine Partikel anzusehen sind auch Umweltnanopartikel, die z.B. durch Verkehrsabgase und Industrieprozesse in die allgemeine Umwelt gelangen. Hier vermischen sie sich mit den natürlichen Partikeln und tragen zu einer allgemeinen Hintergrundkonzentration von 10.000 bis 20.000 Partikeln pro cm3 bei. Hierbei werden die niedrigeren Konzentrationen eher in ländlichen, die höheren eher in städtischen/industriellen Bereichen beobachtet.

Gesundheitliche Aspekte von Nanopartikeln

Das Unterfangen, die gesundheitlichen Aspekte an dieser Stelle vollständig zusammenfassen zu wollen, kann nur skeptisch gesehen werden. Denn bei Nanopartikeln handelt es sich nicht um einen einzelnen Stoff, sondern um eine Größenfraktion, die das gesamte Spektrum der Elemente und Verbindungen umfasst. Und niemand würde auf die Idee kommen, die gesundheitlichen Effekte aller Chemikalien einfach einmal kurz zusammenzufassen. Bei Nanopartikeln kommt hinzu, dass die Befunde sehr unterschiedlich ausfallen können. Dennoch soll und muss der Versuch gewagt werden, wenigstens die dringlichsten Probleme anzusprechen.

Inhalative Aufnahme

Als ein wesentlicher Aufnahmeweg ist die Atmung und damit die Beaufschlagung der Lunge zu nennen. Entsprechend der hohen Bedeutung der Lunge bei der Aufnahme von Partikeln werden auch hier die häufigsten und am besten beschriebenen Schädigungen festgestellt. So wurden für den Atemtrakt beschrieben:

  • Entzündungsreaktionen der Nase
  • Entzündungsreaktionen der Bronchien und Alveolen
  • Lungenfibrosen (Ersatz des Lungengewebes durch Bindegewebe)
  • Verstärkung bereits bestehender Erkrankungen (z.B. Asthma)
  • Hinweise auf Typ-I-Allergien

Praxisbericht

Aufsehen erregen dabei oft Fälle, in denen von Erkrankungen nach Kontakt mit Nanopartikeln berichtet wird, z.B. der Fall von sieben chinesischen Arbeiterinnen, die ungeschützt Lacksprüharbeiten ausführten. Sie entwickelten innerhalb von rund einem Jahr Lungenfibrosen, die bei zwei Mitarbeiterinnen zum Tod führten (Song et al., 2009). In den Lungen konnten Nanopartikel in großer Zahl nachgewiesen werden.

Leider sind in solchen Fällen immer wieder zwei Dinge festzustellen: Die Stoffe oder Tätigkeiten sind auch ohne Nanopartikel durchaus als gesundheitsschädlich zu betrachten und die Schutzmaßnahmen sind nicht ausreichend umgesetzt.

Anfechtbare Untersuchungen

Bedeutsam für die Diskussion ist auch die Untersuchung von Roller (2008), der sogenannte „19-Stäube-Versuch“. In der Versuchsreihe wurden 19 verschiedene Stäube auf ihre Lungenwirkung mit dem Ergebnis untersucht, dass sie alle Krebs erzeugten, wobei die Nanostäube besonders wirksam sein sollen. Kritiker dieser Untersuchungen weisen jedoch darauf hin, dass die Stäube in derart hohen Konzentrationen („Overload“) angeboten wurden, dass die Krebsentstehung mit jedem Material erreicht werden könnte und dass überhaupt keine Vergleichbarkeit mit realen Arbeitssituationen bestände.

In ähnliche Richtung ist auch an die diversen Versuche zu denken, die im Rahmen der „Tonerproblematik“ immer wieder durch die Presse geistern: Viele Untersuchungen finden unter Bedingungen, die nicht einer realen Exposition nachempfunden sind, und zum Teil mit wissenschaftlich bedenklichen Methoden (z.B. ohne Kontrollversuche) statt, sodass die Ergebnisse extrem anfechtbar sind.

Differenziertere Ergebnisse

Gezieltere Untersuchungen liefern denn auch höchst differenzierte Ergebnisse. Zum Beispiel konnte Guichard (2010) zeigen, dass je nach Material die Ergebnisse sehr unterschiedlich sein können. Eisenoxide z.B. zeigen bezüglich auftretender Schäden an der DNS keine Unterschiede zwischen der nanopartikulären und der mikropartikulären Form. Ähnliche Ergebnisse lieferten die Untersuchungen für Anatasform des Titanoxids, bei der Rutilform des Titanoxids wirkte die Mikrofraktion jedoch stärker als die Nanoform. Also genau umgekehrt als vermutet.

Verallgemeinerungen nicht sinnvoll

Bei der Untersuchung der Bildung der sogenannten reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) waren jedoch die Ergebnisse wieder anders. Hier wirkte z.B. die Nanoform des Anatas deutlich stärker als die Mikroform, während beim Rutil gleiche Effekte durch beide Größenformen beobachtet wurden. Dies deutet darauf hin, dass jede Form und jedes Material besonders untersucht werden muss und dass Verallgemeinerungen für „die Nanopartikel“ insgesamt zu kurz zu greifen scheinen.

Negative Gesundheitseffekte

Dennoch, trotz dieser Unsicherheiten scheinen Nanopartikel negative Gesundheitseffekte hervorzurufen. Valic (2010) hat den seinerzeitigen Forschungsstand zusammengefasst und es ergaben sich im Tierversuch für alle Materialien Effekte wie Entzündungsreaktionen der Lunge, Nierenschädigungen, Zerfall von roten Blutkörperchen, Ausbildung von Granulomen, Akkumulationen in Organen etc. Allerdings liegen vergleichsweise wenige Befunde beim Menschen vor. Dies gilt auch für die Frage, ob insbesondere Nanoröhren mit ähnlichen Dimensionierungen wie Asbestfasern Krebs erzeugen können. In der Tat sprechen etliche experimentelle Befunde in diesen Fällen für eine zumindest potenzielle Kanzerogenität (Müller et al., 2008; Ryman-Rassmussen et al., 2009; Beth-Hübner, 2009). Doch müssen auch hier weitere Untersuchungen abgewartet werden.

Im Moment scheint es so zu sein, dass gerade geformte, starre und mit den entsprechenden Dimensionen ausgestattete Nanoröhren zumindest als gefährlicher betrachtet werden müssen als gekrümmte und kurze Röhren. Außerdem gibt es Hinweise, dass Nanoröhren, die Fremdatome enthalten, weniger gefährlich sind als solche mit „reiner“ Zusammensetzung. Dies würde ggf. einen technologischen Schutz bereits bei der Produktion dieser Kohlenstoff-Nanoröhren ermöglichen.

Ansätze der Gruppierung von Nanomaterialien

Aufgrund der großen Vielfalt von Nanomaterialien ist allerdings doch interessant, zumindest Gruppen hinsichtlich der Gefährdung für den Menschen zu definieren. Gebel et al. (2014; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25326817/) haben auf Basis ihrer Wirkung in tierexperimentellen Studien drei Gruppen benannt:

  • Nanomaterialien, die toxisch sind, weil zugrunde liegende chemische Substanzen toxisch sind (spezifische Toxizität)
  • Nanomaterialien ohne spezifisch toxische Wirkung, die aber aufgrund ihrer Biobeständigkeit bei entsprechend hoher Dosis eine Überbeladung (oben „Overload“ genannt) der Lunge erzeugen
  • biobeständige Nanofasern, die aufgrund ihrer Morphologie kanzerogen sind

Die TRGS 527 „Tätigkeiten mit Nanomaterialien“ schlägt folgende Einteilung von Nanomaterialien bei der Gefährdungsbeurteilung vor auf Grundlage ihrer stoffspezifischen Toxizität, der Gestalt und Struktur sowie der Biobeständigkeit:

  • 1. Gruppe: lösliche Nanomaterialien
  • 2. Gruppe: biobeständige Nanomaterialien mit stoffspezifischer Toxizität
  • 3. Gruppe: biobeständige Nanomaterialien ohne stoffspezifische Toxizität (GBS-Nanomaterialien)
  • 4. Gruppe: biobeständige faserförmige Nanomaterialien

Weitere Aufnahme von Nanopartikeln

Die Aufnahme von Nanopartikeln über die Haut scheint keine wesentliche Rolle zu spielen. Nanopartikel werden selbstverständlich auch verschluckt – allerdings werden bis zu 98 Prozent der verschluckten Partikel wieder ausgeschieden. Dennoch kommt es zur Aufnahme auch im Darm, wie Versuche an Ratten gezeigt haben. Allerdings gibt es dazu relativ wenige Studien.

Autor*innen: Dirk Broßell, Anke Schumacher