Substitutionsprüfung für Gefahrstoffe
Wo können bei Ihnen im Betrieb gesundheitsfreundlichere Stoffe anstelle von Gefahrstoffen eingesetzt werden? Das ist eine von vielen Fragen, die die Substitutionsprüfung nach Gefahrstoffverordnung beantwortet. Ihre Fragen zur Substitutionsprüfung beantwortet dieser Beitrag: Wie sie funktioniert, welche rechtlichen Vorgaben gelten und wie Sie diese im betrieblichen Alltag umsetzen können... und viele weitere.
Was bedeutet Substitutionsprüfung im Sinne der Gefahrstoffverordnung?
Bei der Substitutionsprüfung von Gefahrstoffen evaluiert der Arbeitgeber systematisch,
- ob er eingesetzte Gefahrstoffe durch weniger gefährliche Substanzen ersetzen kann,
- ob er Verfahren mit Gefahrstoffen abändern kann, um den Einsatz von Gefahrstoffen zu verringern oder zu verhindern.
Die Substitution von Gefahrstoffen ist die wichtigste Schutzmaßnahme beim Umgang mit Gefahrstoffen und Teil der Gefährdungsbeurteilung für Gefahrtstoffe.
Ist die Substitution von Gefahrstoffen erfolgreich, reduziert oder eliminiert sie die Quelle einer Gefährdung für Mitarbeiter und Umwelt. Es geht dabei nicht nur darum geht, einen „ungefährlicheren“ Stoff auszuwählen. Die Exposition und die Gefährdung für Mitarbeiter und Umwelt muss insgesamt verringert werden.
Deshalb ist der Begriff Substitution auch treffender als der synonym verwendete Begriff Ersatzstoffprüfung für Gefahrstoffe – es geht eben nicht nur darum, einen Ersatzstoff zu finden. Dazu lesen Sie weiter unten mehr.
Es gibt keine Substitutionspflicht
Wichtig: Die Gefahrstoffverordnung verpflichtet Sie lediglich zur Substitutionsprüfung, sagt aber über das Ergebnis dieser Prüfung nur aus, dass eine Substitution „vorrang“ vor anderen Schutzmaßnahmen haben sollte. Es gibt keine Substitutionspflicht!
Ob Ihr Unternehmen sich dazu entscheidet, einen Gefahrstoff tatsächlich zu ersetzen oder nicht, bleibt letztlich ihm überlassen. Sie müssen dafür die Gesamtgefährdung und die Zumutbarkeit beurteilen und dokumentieren, warum sich Ihr Unternehmen für oder gegen die Substitution eines Stoffes entschieden hat. Auch dazu lesen Sie in den folgenden Abschnitten mehr.
Dennoch möchten wir ganz am Anfang dieses Beitrags festhalten, dass die Substitutionsprüfung nach Gefahrstoffverordnung nicht automatisch auch die Substitution eines Stoffes zur Folge hat.
Substitution von Gefahrstoffen an vorderster Stelle: Das STOP-Prinzip
Die Substitutionsprüfung Ihrer Gefahrstoffe nimmt eine zentrale Stellung in der Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ein. Die Gefährdungsbeurteilung für Gefahrstoffe legt fest, welche Maßnahmen das Arbeiten mit Gefahrstoffen sicherer machen.
Dabei gilt laut Gefahrstoffverordnung das STOP-Prinzip: Die einzelnen Buchstaben von „STOP“ stehen für jeweils verschiedene Arten von Schutzmaßnahmen:
-
S – Substitution
- T –Technische Schutzmaßnahmen
- O –Organisatorische Schutzmaßnahmen
- P –Persönliche Schutzmaßnahmen
Sie sehen: Die Substitution steht in dieser Maßnahmenhierarchie ganz vorne. Bevor Ihr Unternehmen also prüft, ob es Abzugshauben oder mehr Schutzhandschuhe braucht, muss es sich an die Substitutionsprüfung seiner Gefahrstoffe machen.
Rechtliche Grundlagen der Substitutionsprüfung für Gefahrstoffe
Wichtige rechtliche Grundlagen für die Substitutionsprüfung finden Sie in der
Gefahrstoffverordnung (GefStoffV):
- In § 6 Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 GefStoffV heißt es, Arbeitgeber müssen, bevor sie zum ersten Mal Tätigkeiten mit Gefahrstoffen aufnehmen, „die Substitution von Gefahrstoffen“ beurteilen.
- § 7 GefStoffV fordert ausdrücklich die Substitutionsprüfung als Teil der Schutzmaßnahmen.
Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 600 sowie folgende
REACH-Verordnung (EG 1907/2006):
- Die europäische REACH-Verordnung verpflichtet Unternehmen, Informationen über die Sicherheitsdatenblätter (SDB) bereitzustellen. Diese enthalten Angaben zu Substitutionsmöglichkeiten und Alternativen.
- Anhang XVII der REACH-Verordnung legt Beschränkungen für bestimmte gefährliche Stoffe fest, die die Substitution eines Stoffes notwendig machen.
Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV):
- Bei der Verwendung von Gefahrstoffen im Rahmen von Arbeitsmitteln müssen Sie gemäß § 3 BetrSichV prüfen, ob gefährliche Stoffe oder Verfahren durch sicherere Ersatzstoffe ersetzt werden können.
Substitution von Gefahrstoffen muss die Gesamtgefährdung verringern
Der Maßstab bei der Entscheidung für oder gegen eine tatsächliche Substitution eines Stoffes ist die Gesamtgefährdung. Eine Substitutionslösung muss die Gefährdungen durch Gefahrstoffe am Arbeitsplatz insgesamt verringern. Die Gesamtgefährdung ergibt sich aus
- den Stoffeigenschaften
- dem Verfahren
- den Explosionsmöglichkeiten
Beispiel für eine erhöhte Gesamtgefährdung durch die Substitution eines Stoffes
Wenn die Substitution der Gefahrstoffe zum Beispiel erhöhte Brand- und Explosionsgefahren mit sich bringt, oder auf einmal Arbeiten mit höherem Dampfdruck erfordert, wird die Gesamtgefährdung insgesamt erhöht. Dann können Sie gut begründen, warum Sie einen Gefahrstoff nicht ersetzen.
Wann müssen Betriebe die Substitutionsprüfung für Gefahrstoffe durchführen?
Ob eine Substitution im Arbeitsschutz Sinn ergibt, müssen Sie prüfen, bevor
- Beschäftigte mit einem Gefahrstoff umgehen,
- Tätigkeiten aufgenommen werden, bei denen ein gefährlicher Stoff entstehen oder freigesetzt werden kann,
- bevor ein neues Verfahren eingeführt wird, bei dem ein Gefahrstoff entstehen oder freigesetzt werden kann.
Sie dürfen auf die Substitutionsprüfung für einen Gefahrstoff allerdings verzichten, wenn Sie in der entsprechenden Gefährdungsbeurteilung nur eine geringe Gefährdung bei der Tätigkeit mit diesem Gefahrstoff ausgemacht haben.
Substitution von Gefahrstoffen – Beispiele und Hilfen auf der weka.de
Lesen Sie in unseren Beiträgen mehr über die Substitutionsmöglichkeiten,
- um die Gefahr von Nadelstichverletzungen zu reduzieren,
- für Nanomaterialien.
Ablauf der Substitutionsprüfung für Gefahrstoffe: Wie gehen Sie vor?
Die TRGS 600 Substitution empfiehlt für die Substitutionsprüfung folgendes Vorgehen:
1. Ermitteln Sie Substitutionsmöglichkeiten:
Für die Substitutionsprüfung müssen Sie anfangs auf „Quellenjagd“ gehen, um herauszufinden, welche Ersatzstoffe und -verfahren für Sie brauchbar sind. Informationen finden Sie beispielsweise bei:
- TRGS zu Ersatzstoffen
- Branchen- oder tätigkeitsspezifische Hilfestellungen wie DGUV-Informationen, Veröffentlichungen der Unfallversicherungsträger, Branchenregeln von Verbänden
- Sicherheitsdatenblättern
- Lieferantenbefragungen
- Erfahrungsberichten aus Netzwerken mit anderen Unternehmen
Substitutionsmöglichkeiten ermitteln: Tipp für die praktische Umsetzung
In der betrieblichen Praxis wird es nicht möglich sein, alle Gefahrstoffe und deren Ersatzstoffe zur gleichen Zeit und mit gleicher Intensität zu prüfen. Eine sinnvolle Prioritätensetzung ist erforderlich, schon aus dem Grund, damit Sie als Verantwortlicher nicht schon vor Beginn an der Größe der Aufgabe verzweifeln.
Die TRGS 600 enthält daher Entscheidungshilfen, welche Gefährdungen in einem Betrieb vorrangig zu bearbeiten sind. Insbesondere Tätigkeiten mit krebserzeugenden, keimzellmutagenen und reproduktionstoxischen Stoffen und Gemischen der Kategorien 1A oder 1B sowie akut toxischen Stoffen und Gemischen der Kategorie 1 stellt sie in den Vordergrund.
2a) Orientierung an anerkannter Substitutionsempfehlung
Für einige Ersatzstoffe und -verfahren gibt es bereits Empfehlungen, die – angepasst an die betrieblichen Besonderheiten – übernommen werden können, zum Beispiel:
-
TRGS der Reihe 600
-
Empfehlungen des „Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik“
-
Schutzleitfäden der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
-
Asbestersatzstoffkatalog (IFA)
-
…
Ist das der Fall, müssen Sie Möglichkeiten einer Substitution nicht noch einmal analysieren und können direkt zu Punkt 3 – der Entscheidung für oder gegen die Substitution von Gefahrstoffen – springen.
2b) Eigene Leitkriterien für die Vorauswahl von Ersatzstoffen festlegen
Gibt es noch keine Empfehlung und Sie haben mehrere Möglichkeiten entdeckt, einen Stoff oder ein Verfahren zu ersetzen? Dann sind Leitkriterien für die Vorauswahl aussichtsreicher Substitutionsmöglichkeiten sinnvoll.
Leitkriterien können sein:
- Gesundheitsgefahren, physikalisch-chemische Gefährdungen (für die Bewertung hilft Ihnen hier das TRGS 600 Spaltenmodell weiter)
- Freisetzungspotenzial auf Grundlage der physikalisch-chemischen Eigenschaften und
- Verfahrens- und Verwendungsbedingungen
Hinweis: Substitutionsprüfung mit dem Spaltenmodell
Das Spaltenmodell ist eine Systematik, die es ermöglicht, zwei Stoffe oder Gemische bezüglich ihrer Gefährdung bei der Verwendung zu vergleichen. Sie können damit bewerten, durch welchen Gefahrstoff höhere Gefährdungen für die Gesundheit oder die Umwelt und durch Brand und Explosion zu erwarten sind. Diese Systematik sollten Sie proaktiv nutzen, wenn die Substitution eines Stoffs oder eines Gemischs geplant ist und es noch keine Empfehlungen gibt, die auf Ihren Betrieb übertragbar sind. Das GHS-Spaltenmodell (Einstufung nach CLP-Verordnung) steht auf der Internetseite der DGUV zum Download bereit.
3) Entscheidung für oder gegen die Substitution von Gefahrstoffen
Haben Sie nun eine Substitutionslösung als aussichtsreich ermittelt, sollten Sie sie noch gründlicher auf ihre
- technische,
- gesundheitliche und
- physikalisch-chemische Eignung
untersuchen. Auch hier hilft Ihnen bei den letzten beiden Punkten das Spaltenmodell weiter, sollte es keine anerkannte Empfehlung geben.
Nehmen wir nun an, dass Sie durch Empfehlungen oder den Einsatz des Spaltenmodells Stoffe entdeckt haben, die weniger gefährlich und technisch geeignet sind. Muss Ihr Unternehmen sie nun zwingend verwenden?
Nein!
Es gibt keine Verpflichtung, technisch geeignete Ersatzstoffe einzusetzen. Dem Arbeitgeber muss die Verwendung von Ersatzstoffen zumutbar sein. Der Begriff „Zumutbarkeit“ wird zwar in den rechtlichen Grundlagen der Ersatzstoffprüfung für Gefahrstoffe nicht erwähnt. Aber der Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit“ als verfassungsrechtliches Prinzip gilt auch hier. Außerdem dürfen Sie explizit wirtschaftliche Bewertungskriterien bei Ihrer Entscheidung für oder gegen eine Substitution heranziehen.
Aber:
Die Möglichkeiten der Substitution aus den technischen Regeln zu Ersatzstoffen sowie branchen- oder tätigkeitsspezifische Hilfestellungen gelten als grundsätzlich betrieblich geeignet. Deshalb müssen Sie diese in der Regel umzusetzen. Entscheiden Sie sich dagegen, müssen Sie dies ausdrücklich begründen und dokumentieren.
4) Dokumentation der Substitutionsprüfung und deren Ergebnis
Das Ergebnis der Substitutionsprüfung kann lauten:
- Aufzählung der Möglichkeiten einer Substitution
- Substitution ist nicht möglich (mit Begründung)
- Es ist bereits eine Substitutionslösung im Einsatz
Zusammenfassung: Vorgehen bei der Substitutionsprüfung
Recherchieren Sie zunächst Substitutionsmöglichkeiten z. B. durch TRGS-Regelwerke, Sicherheitsdatenblätter oder Branchenempfehlungen. Priorität haben gefährliche Stoffe wie krebserzeugende oder akut toxische Substanzen. Gibt es keine etablierten Substitutionsempfehlungen und mehrere aussichtsreiche Alternativen, können Leitkriterien wie Gesundheitsgefahren oder Freisetzungspotenziale die Auswahl erleichtern, unterstützt durch das Spaltenmodell der TRGS 600. Die Entscheidung für oder gegen eine Substitution basiert auf technischen, gesundheitlichen, Eignungs- und wirtschaftlichen Aspekten. Eine Ablehnung erfordert jedoch eine klare Begründung.
Wann ist eine Substitution zumutbar?
Da es nahe liegt, mit dem Begriff „Zumutbarkeit“ zunächst wirtschaftliche Aspekte zu verbinden, dürften in der Vergangenheit meist die Kosten der Ersatzstoffe mit den Kosten bereits verwendeter Stoffe verglichen worden sein. Das ist jedoch zu kurz gegriffen. Um Betriebe in die Lage zu versetzen, die Prüfung der Zumutbarkeit sachgerechter durchführen und dokumentieren zu können, finden Sie in der TRGS 600 in Anlage 3 eine Checkliste. Faktoren sind hier beispielsweise
- Materialkosten
- Anzahl Handwäschen
- Transportkosten
- Lagerkosten
- Lüftungsmaßnahmen
Die gefundene Substitutionslösung müssen Sie einsetzen, wenn die Substitution die im Anlage 3 geprüften Faktoren im Wesentlichen positiv beeinflusst.
Häufig wird es der Fall sein, dass die Checkliste sowohl positive als auch negative Einflüsse ausweist. Dann können Sie einzelne oder mehrere der Faktoren genauer untersuchen. Es bleibt Ihnen als Verantwortlichen überlassen, welche Faktoren sie für die einflussreichsten halten und deshalb genauer berechnen wollen.
Substitution der Gefahrstoffe am Beispiel Offsetdruck:
Beim Offsetdruck werden Gummitücher, Walzen und Farbwerke gereinigt. Pflanzliche Reinigungsmittel können anstelle von Benzinkohlenwasserstoffen verwendet werden. Die Ersatzstoffe haben im Allgemeinen eine bessere Reinigungswirkung als herkömmliche konventionelle Lösemittel. Aufgrund ihres geringen Dampfdrucks verdunsten sie sehr wenig. Ihre Einführung erfordert allerdings eine qualifizierte Instruktion der Drucker in die neue Arbeitsweise. Die Ersatzstoffe sind ohne große Schwierigkeiten bei entsprechendem Handling in allen Maschinen, außer Wendeeinrichtungen und Falzmaschinen, einsetzbar.
Wer darf eine Substitutionsprüfung durchführen?
Die Substitutionsprüfung dürfen nur fachkundige Personen durchführen. Fachkundig ist, wer aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung genügend Kenntnisse über Gefahrstoffe verfügt, mit dem Gefahrstoffrecht und den Tätigkeiten im Betrieb vertraut ist und sich regelmäßig zu diesem Thema weiterbildet. Fachkundig im Sinne der Gefahrstoffverordnung können die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt sein.
Zusammenfassung
Die Substitutionsprüfung gemäß Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) dient der Bewertung, ob Gefahrstoffe durch weniger gefährliche Alternativen ersetzt werden können, um die Gefährdung von Mitarbeitern und Umwelt zu verringern. Sie ist eine zentrale Schutzmaßnahme in der Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen und hat gemäß dem STOP-Prinzip (Substitution, Technische, Organisatorische, Persönliche Schutzmaßnahmen) oberste Priorität.
- Rechtliche Grundlage: Die GefStoffV (§6 und §7) sowie weitere Regelwerke wie TRGS 600 und REACH-Verordnung verpflichten Arbeitgeber zur Substitutionsprüfung, ohne eine tatsächliche Substitution vorzuschreiben. Die Entscheidung hängt von der Zumutbarkeit und der Reduzierung der Gesamtgefährdung ab.
- Vorgehen:
- Ermittlung von Alternativen: Informationen aus Sicherheitsdatenblättern, Branchenempfehlungen und der TRGS 600.
- Bewertung: Nutzung des Spaltenmodells zur Analyse von Gesundheits- und Umweltgefährdungen sowie technischer Eignung.
- Entscheidung: Eine Ablehnung der Substitution muss dokumentiert und begründet werden.
- Fachkunde: Die Prüfung darf nur von geschulten Fachkräften durchgeführt werden, z. B. Fachkräften für Arbeitssicherheit oder Betriebsärzten.
Die Substitutionsprüfung dient letztlich der Minimierung von Risiken und ist wichtiger Bestandteil des sicheren Umgangs mit Gefahrstoffen.